Mittlerer Niederrhein. Die Europäische Union ist für die Unternehmen in Krefeld und am gesamten Mittleren Niederrhein von herausragender Bedeutung. „Der gemeinsame Binnenmarkt hat den Austausch von Waren und Dienstleistungen in der EU enorm gepusht“, erklärt Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein. „Dazu kommt der Euro: In 20 EU-Staaten fallen Umtauschgebühren und Wechselkursrisiken bei Transaktionen weg.“ Allerdings hat die Eurozone für die regionale Wirtschaft als Investitionsziel zuletzt an Attraktivität verloren. Zudem kritisieren die Unternehmen die überbordende Bürokratie, die von der EU ausgeht. Das sind wesentliche Ergebnisse der IHK-Kurzstudie „Der Mittlere Niederrhein und Europa“, die nun im Vorfeld der Europawahl am 9. Juni veröffentlicht wird. Die Ergebnisse basieren auf einer Unternehmensbefragung, an der sich 400 Betriebe aus Krefeld, Mönchengladbach, dem Rhein-Kreis Neuss und dem Kreis Viersen beteiligt haben.
Für 57 Prozent der Unternehmen in Krefeld ist der Binnenmarkt ein Vorteil oder ein großer Vorteil. Keines der befragten Unternehmen sah einen Nachteil. „Dank der EU wurden Handelsbeschränkungen sowie Zölle abgebaut und die Grenzen geöffnet. Das hat in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich zum Wohlstand hierzulande beigetragen“, betont Steinmetz. „Deswegen sei allen EU-Gegnern gesagt: Deutschlands Austritt aus der EU ist mit großen Wohlstandsverlusten für unser Land verbunden.“ Allerdings: Im Vergleich zur Vorumfrage im Jahr 2019 hat sich die Bewertung der Binnenmarkt-Vorteile durch die Unternehmen etwas verschlechtert. So ist der Anteil der Betriebe in der Region, die einen großen Vorteil im Binnenmarkt sehen, um 13 Prozentpunkte gesunken.
Die Gesamtwirtschaft am Mittleren Niederrhein generiert einen hohen Umsatzanteil mit Kunden aus dem EU-Ausland. Bei den exportierenden Betrieben liegt der Anteil der Unternehmen, die mehr als 25 Prozent ihres Umsatzes im EU-Ausland machen, bei 46 Prozent und ist damit um 7 Prozentpunkte höher als bei der Vorumfrage im Jahr 2019. „Wir sind eine Grenzregion. Deswegen sind für die niederrheinische Wirtschaft insbesondere die nahen Benelux-Länder der wichtigste europäische Markt“, betont IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz. „Mit deutlichem Abstand werden Frankreich, Osteuropa und Südeuropa als bedeutende Exportmärkte innerhalb Europas benannt.“ Für die Industrie ist Frankreich fast genauso wichtig wie Benelux. Bei den Import- wie auch bei den Exportgeschäften sind die Benelux-Länder die bedeutendste Region, gefolgt von Südeuropa (14 Prozent).
Die Umfrage zeigt allerdings auch, dass die Eurozone an Attraktivität für Auslandsinvestitionen verliert. Bei der Frage nach den wichtigsten Zielen für Auslandsinvestitionen rangiert die Eurozone zwar nach wie vor auf dem ersten Platz. Allerdings benannten bei der aktuellen Umfrage 47 Prozent der Unternehmen die Region als wichtigstes Investitionsziel, 2019 waren es noch 69 Prozent. „Für die hiesige Industrie sinkt dieser Wert seit der Vorumfrage sogar um 35 Prozentpunkte“, so Steinmetz. Andere Regionen, wie z.B. Ost-Südosteuropa (ohne EU), Nordamerika, Afrika, Nah- und Mittelost und Asien/Pazifik (ohne China) werden zunehmend interessanter. „Diese Entwicklung zeigt, dass es eine bedeutende Aufgabe für die Europäische Kommission in der kommenden Wahlperiode sein wird, die Wettbewerbsfähigkeit wieder zu verbessern. Das betrifft insbesondere die Energie- und Klimapolitik“, erklärt Steinmetz. Vor allem die energieintensiven Vorleistungsgüterproduzenten investieren mittlerweile verstärkt außerhalb der Eurozone.
Und noch einen weiteren Punkt kritisieren die Unternehmen: Die Regulierungsdichte durch EU-Verordnungen wird von den Betrieben als zu hoch angesehen. 86 Prozent der Firmen empfinden die EU-Regulierungsdichte als zu hoch oder viel zu hoch. Bei dieser Frage sind sich die Unternehmen aller Branchen einig. Die Unzufriedenheit hat seit 2019 in allen Branchen – ausgenommen ist hier der Einzelhandel – zugenommen. „Wir haben beim Bürokratieabbau ein Umsetzungsdefizit“, erklärt Jürgen Steinmetz. Der IHK-Hauptgeschäftsführer nennt Beispiele: Die Datenschutzgrundverordnung sorgt bei den IHK-Mitgliedern auch mehrere Jahre nach ihrer Einführung weiterhin für große Unsicherheit in den Betrieben. „Der Mittelstand benötigt Ausnahmeregelungen etwa hinsichtlich der Dokumentationspflichten“, so Steinmetz. Ein weiteres Problem betrifft die Erstellung der A1-Bescheinigung bei Mitarbeitendenentsendungen. „Das sorgt für einen zusätzlichen Aufwand bei der Mitarbeitendenentsendung von meist mehr als 20 Minuten pro Beschäftigten. Der Binnenmarkt ist erst verwirklicht, wenn die Mitarbeiterentsendung unbürokratischer funktioniert“, so Steinmetz. Und auch die komplexe Verpackungsrichtlinie, die von den EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich umgesetzt worden ist, verursacht hohe bürokratische Lasten und ist ein Handelshemmnis im EU-Binnenmarkt.
Das Fazit der Umfrage fällt für Jürgen Steinmetz klar aus. „Unsere Umfrage zeigt in erster Linie, was die Europäische Union für einen großen Wert für unsere Wirtschaft und damit für die Menschen in unserer Region hat. Deswegen kann ich auch nur jede und jeden ermuntern, sich mit der Europawahl zu befassen und wählen zu gehen“, appelliert der IHK-Hauptgeschäftsführer.
Die Ergebnisse der Kurzstudie „Der Mittlere Niederrhein und Europa“ gibt es auf der IHK-Website.
Quelle: IHK Mittlerer Niederrhein